Das Rahmenabkommen mit der EU liegt auf dem Tisch, ist aber noch nicht unterschrieben. Das Forum für Demokratie und Menschenrechte beleuchtete kürzlich in Aarau dieses brisante politische Thema im Rahmen einer Open debate. Dabei diskutierten die Aargauer IT-Unternehmerin Sarah Burkhard, Transportunternehmer Hans-Jörg Bertschi sowie Alt Nationalrat Rudolf Strahm über dieses politische Schwergewichtsthema. Im Zentrum stand zudem das Publikum, das mit Fragen, Anregungen und Inputs in der Debatte stark miteinbezogen wurde und wichtige Aspekte aus der Bevölkerung einbrachte.
Mit dem heute vorliegenden institutionellen Rahmenabkommen Schweiz-EU prallen zwei Welten aufeinander. Einerseits die Schweiz mit ihrer gewachsenen, dezentralen, direktdemokratischen und bürgerschaftlichen Demokratie, andrerseits die EU mit ihrer stark auf Verwaltung, Exekutive und Judikative konzentrierten Organisationsform. Es ist auf der einen Seite das Bottomup-System der Schweiz, welches einfach, verständlich, bürgernah und auf Vielfalt ausgerichtet ist. Auf der anderen Seite steht eine Institution, die auf sehr komplexen, intransparenten Prozessen und auf Vereinheitlichung und Mechanismen gebauten Prinzipien beruht. Soweit die Ausgangslage der Diskussion um das Rahmenabkommen an der Open debate anfangs Januar im Medienhaus der AZ in Aarau. In einer ersten Auslegeordnung bezogen die drei Podiumsgäste Stellung zum kontroversen Thema und fragt sich dabei, was mit unserer demokratischen Kultur passieren würde, wenn die Schweiz mit dem vorliegenden Abkommen institutionell eingebunden wird und sich der EU angleichen soll.
Sarah Burkhard, Geschäftsführerin des IT-Unternehmens IT-SENSE AG in Aarau, würde das vorliegende Rahmenabkommen nie unterschreiben, «weil damit unsere direkte Demokratie arg beschnitten wird.» Aus Sicht von Hans-Jörg Bertschi, CEO der Bertschi Group in Dürrenäsch, beschneidet das Rahmenabkommen die jetzigen Schweizer Standortvorteil massiv. Er ist Initiant und Mitglied des Wirtschafts-Komitee InstA-Nachverhandeln. «Wir müssten sämtliche Gesetze, Vorgaben und Regulierungen der EU übernehmen, was unseren wirtschaftlichen Handlungsspielraum sehr einschränkt. Zudem könnten wir nicht mehr unabhängig mit Drittmärkten Freihandelsabkommen abschliesen. Schweizer KMU könnten nicht mehr auf typisch Schweizerische Erfolgsfaktoren wie Innovationskraft, Unternehmertum, Bildung, Forschung und globale Ausrichtung zurückgreifen.» Alt SP-Nationalrat und ehemaliger Preisüberwacher Rudolf Strahm sieht mit dem jetzigen Rahmenabkommen Schweiz-EU unter anderem unseren Lohnschutz in Gefahr. «Wir wären nicht mehr frei und würden teilweise unser Arbeitsmarktpolitik nach Brüssel delegieren, was ein grosser Grundfehler ist, der auf unser gesamtes Sozialsystem verheerende Auswirkungen haben wird.» Der vierte Gast, Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Philipp Zurkinden, war aus privaten Gründen verhindert.
Kein Wirtschafts-, sondern ein Integrationsabkommen
Strahm, der sich selber als Veteran der EU-Debatte bezeichnet, erinnerte daran, dass das Rechtssystem der EU sehr ein-seitig und auf Kontrolle fokussiert sei. «Der europäische Gerichtshof ist kein neutrales Gericht. Das Parteigericht ist darauf ausgerichtet den Bedürfnissen der EU zu entsprechen und hat die Pflicht, die EU weiterzuentwickeln.» Auf den Einwand des Moderators, dies sei nur Panikmache, konterte der Ökonom: «Wir müssen da schon klaren Wein einschenken. Wenn wir nicht spuren wie es sich die EU vorstellt, werden wir gestraft. Unter gegeben Voraussetzungen könnte dieser Umstand sogar unsere demokratischen Volksabstimmungen in Frage stellen.» Alle drei Gäste waren sich einig, dass diese Kündigungsklausel mit Guillotine unakzeptabel ist. «Das institutionelle Rahmenabkommen ist kein Wirtschaftsabkommen im herkömmlichen Sinn, sondern ein Integrationsabkommen», stellte Bertschi fest.
Den Ball flach halten
Aus der Debatte ging klar hervor, dass mit dem Rahmenabkommen im Kern und materiell unsere Gerichte, unser Parlament, unsere dezentralen Strukturen und die direkte Partizipation unterlaufen werden. «Das Verhältnis zur EU bleibt auf absehbare Zeit unberechenbar, weil die EU und ihre Mitgliedstaaten wegen der ungeklärten Machstrukturen immer wieder grosse Rechtssicherheit produziert», so Strahm. Alle waren sich einig, momentan den Ball flach zu halten und ohne Zeitdruck Nachverhandlungen des InstA anzustreben, um die wichtigsten Schwächen des Abkommens zu beseitigen. «Dabei müssen wir schauen, dass wir dem möglichen unpolitischen Druck standhalten, psychologisch über die Runden kommen und ja keine Fristen abmachen», betonte Strahm. Bertschi stellte die provokative Frage «Warum lassen wir uns in Ketten legen, anstatt einen Plan B zu kreieren?». «Wenn es nicht anders möglich ist, lieber ohne Rahmenabkommen als mit», ist die Devise von Burkhard. Als Unternehmerin fürchtet sie die Konsequenzen nicht, «denn es ist lediglich ein Nein zu einer demokratie- und wirtschaftspolitisch fragwürdigen institutionellen Anbindung an die EU.» Als Unternehmer sei es normal, dass man auch schlechte Zeiten durchstehe, die Wirtschaft bestehe aus up und downs. «Wir gelten in Europa als stärkstes und weltweit als innovativstes Land. Wir müssen uns nicht verstecken und sollten unseren Selbstzweifel endlich ablegen», so Bertschi. Und auch Strahm schlug in dieselbe Kerbe: «Jedes Bundesamt sollte sich genaustens überlegen, was das Rahmenabkommen für die Schweiz bedeutet. Wir haben Zeit, denn bevor der Austritt mit den Engländern nicht geregelt ist, wird sich die EU nicht mit uns befassen und schon gar keine Konzessionen mit uns machen.»
Im letzten Teil wurde das Publikum mit Fragen und Inputs miteinbezogen. Wieso die Bevölkerung zu wenig aufgeklärt wird, was es mit dem Integrationsabkommen auf sich hat oder wo die Kritik der Medien bleibt, waren Fragen, die die Zuhörerinnen und Zuhörer beschäftigten. Die ganze Debatte wurde live von Visual Facilitator Patrick Stahel begleitet. Er fasste visuell die wichtigsten Erkenntnisse und Aspekte des Abends zusammen – ein politischer Blickfang mit Aha-Momenten.
Corinne Remund
Open Debate
Der Politikwissenschaftler Urs Vögeli hat als Mitglied des Forums für Demokratie und Menschenrechte vor zweieinhalb Jahren die sogenannte Open debate initiiert. Die Idee dahinter ist, die klassische Podiumsform zu überwinden und eine Diskussion jenseits von pro und contra zu führen. «Die Debatte soll unter Einbezug des Publikums eine gewisse Tiefe bekommen und vielfältige Aspekte aus der Gesellschaft sollen eingebracht werden», so Vögeli.
Weitere Infos:
www.demokratieundmenschenrechte.ch